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Hippologien

Die digitalografisch bearbeiteten Fotografien von Dirk Godlinski führen uns in eine Welt hinter dem Offensichtlichen. Jenseits der eigentlichen Motivauswahl und technisch versierten Ausführung entstehen universale Geschichten und Gefühlsebenen, deren Vielschichtigkeit sich oft erst nach und nach offenbart.

Pferde frei - unfrei

Geschickt wird das Ritterstandbild dem schwarzen Hengst gegenübergestellt. Dabei ist nicht die grundsätzlich unterschiedliche bildhauerische Darstellung zweier Pferde maßgeblich für die Betrachtung. Vielmehr ist es der Kontrast frei/unfrei, der uns auf eigentümliche Art beunruhigt und berührt:

 

Lebendig wirkt der schwarze Hengst im titanischen Kampf gegen einen für uns unsichtbaren, beinahe mythischen Gegner! Der verzweifelte Widerstand gegen unzerstörbare Fesseln: Ein letztes wildes sich Aufbäumen, das schmerzhafte Verkrampfen der Muskulatur, schlussendlich der finale Atemzug. Agonie. Unmittelbar übertragen sich quälende Empfindungen von Gefangenschaft, Hoffnungslosigkeit, Tragödie und Mitleid. Wir werden ins Geschehen hineingezogen, auf Augenhöhe mit dem sterbenden Tier, gleichzeitig hilflos und unfähig, das Ende abzuwenden. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Unmöglichkeit, einen exakten Größenvergleich herzustellen. Erst die Erkenntnis, dass die abgebildete Figur nur knapp zwei Handspannen misst und es sich bei den vermeintlichen Ketten um zarteste, vom Winterfrost vereiste Spinnweben handelt, entlässt uns aus unserer inneren Anspannung.

 

Mit stoischer Gelassenheit trägt das Ross des Ritterstandbilds seinen Herrn in voller Rüstung. Erhaben, fast anmaßend schaut das gewaltige Tier direkt durch uns hindurch. Nur vermeintlich gebunden durch Zaumzeug und Sattel, ist es sich seiner Stärke und Macht stets bewusst. Unwillkürlich möchte man einen Schritt zur Seite tun, sich nicht messen müssen mit diesem Koloss aus stählerner Lebenskraft. Statt Ruhm und Ehre standesgemäß zur Schau zu stellen, bleibt der Ritter im Hintergrund. Eingeschnürt in seine Rüstung, teilnahmslos, gesichtslos und unbedeutend.

 

Soviel steht fest: Diese Digitalografien erfordern viel Aufmerksamkeit und besondere Hingabe vom Künstler und vom Betrachter. Sie machen Lust auf mehr, indem sie den intensiven Austausch fördern, um gemeinsam bis zum Wesenskern jedes Motivs vorzudringen.

Eine Betrachtung von: Andrea Spring